Change for Leadership (3) – „Refreeze“ with balance

Ist das überhaupt noch „Change“, was wir gerade an tiefgreifenden und weit reichenden Veränderungen in allen Lebens- und Arbeitsbereichen erleben? Vor allem aber: helfen die uns bekannten Konzepte und Methoden für die weitgehend unbekannten Dimensionen des „New Normal“ unserer Zeit? Die Antwort darauf ist zweimal „ja“ – allerdings unter der Prämisse, die Ideen lebendig zu erhalten und situativ so anzupassen, dass die Veränderungsenergie auch wirklich fließen kann.

Raus aus dem Eisfach!

Gemäß dem Klassiker der Organisationsforschung Kurt Lewin mündet jeder Veränderungsprozess nach der Auftau- und Bewegungs- in die Verstetigungsphase („Refreeze“). Damit ist nach dem Wirbel des eigentlichen Changes wieder Systemstabilität als „natürlicher“ Ruhepol und Wunschzustand erreicht. Für diese Idee haben Lewin und in der Folge zahlreiche weitere Autoren und Konzepte reichlich Kritik eingefahren. In der modernen Ära des „Dauer-Changes“ ist ein solcher Gedanke per se obsolet. Dabei fallen Kritiker wie Apologeten in die Falle ihres eigenen Vorurteils: Wenn Veränderung die Regel ist, sind Ausgleich, Innehalten und Gegenbewegung nicht die Ausnahme, sondern die Wegmarker einer Entwicklung, die durch unterschiedliche Dynamiken kritische Reflexion und Lernen eben erst ermöglichen kann. Trotzdem: die gerne unter dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ oder „Zukunftsorientierung“ qualitativ dimensionierte Verstetigung von Veränderungsprozessen ist selbst eine lebendige Phase, die nicht schockgefrostet, sondern vielmehr ins Leben getragen, sichtbar gemacht und immer weiter entwickelt werden muss.

Das Engagement ausweiten

„Refreeze“ heute beinhaltet daher weniger die sichere Verortung eines eindeutigen Konstrukts, sondern vielmehr das Anerkennen und Transparentmachen der darin offenbarten Verschiedenheit. Je komplexer die Change-Prozesse sind, desto eher sind ihre Ergebnisse ein Akt der Konsensfindung, Formulierung von Gemeinsamkeiten und Beschreibung unterschiedlicher Wege auf die neuen, zukunftsorientierten Perspektiven hin. Das heißt übersetzt: Nicht alles, was neu ist, muss auch beibehalten werden. Nicht alles, was theoretisch machbar ist, macht für alle auch Sinn. Die im „Move“ angesprochene Befähigung und Partizipation erweist sich in dieser Phase als funktionales demokratisches Prinzip. Die Prozessverantwortung kann und muss auf mündige Mitarbeiter, Teammitglieder, Bürger etc. übertragen werden. Die geforderte Nachhaltigkeit vieler Organisationskonzepte rutscht damit vom Papier direkt in die Praxis, i.e. an den Arbeitsplatz, in den Alltag, in die konkrete Anwendung. Die Aufgabe der Führung ist damit nicht vorbei, sie ändert sich jedoch maßgeblich. Denn die aus dem Transfer wiederum generierten Ideen und Initiativen müssen in die Prozesse re-integriert und vor allem auf die Strategie – als Ausgangs- und Reflexionspunkt des Changes – zurück bezogen werden, um den gemeinsamen Weg des Lernens auf der nächsten Erkenntnisstufe ein Stückchen weiter zu gehen. Die never-ending Story „Change“ wird damit nicht zur Dauerschleife, führt aber zu losen Enden und neuen Öffnungen im System, die wichtig für den Fortschritt und das Lernen sind, aber auch immer wieder im Sinnes des (persönlichen und organisationalen) Gleichgewichts ausbalanciert, d.h. wertgeschätzt und eingeordnet werden müssen.

Aufmerksamkeit fokussieren – und atmen lassen

Stabilisierung, Orientierung und Integration im modernen Kontext einer sich immer schneller verändernden und mit Sprüngen, Brüchen und Ambivalenzen behafteten Realität bedeuten daher kein Ende der Entwicklung, wohl aber eines falsch verstandenen Change-Managements. Das Grundlegende wird bleiben: die Tendenz nämlich, auf ein Mehr an Geschwindigkeit und Unübersichtlichkeit mit einem höheren Bedürfnis nach Ruhe, Orientierung und Klarheit zu antworten. Das komplementäre Urprinzip stattet uns nicht nur psycho-, sondern auch handlungslogisch mit dem richtigen Maß und Mittel aus, Realität nicht nur aushalten, sondern auch adäquat gestalten zu können.

Die neue Form der (Change-)Resilienz

Neu zu definieren und zu erlernen sind unter dem Druck der Veränderungsintensität jedoch die Führungsrollen und die Kompetenzen aller Beteiligten im Umgang mit der im digitalen Zeitalter überall gleichzeitig virtuell und real neben- und miteinander stattfindenden Kommunikation. Als Katalysator und wesentliches Charakteristikum öffentlicher wie privater Interaktionen und Transaktionen bringt die Digitalisierung über das rein Technische hinaus eine neue Qualität der Information und der – zumindest potentiell – grenz- und systemübergreifenden Partizipation. Mit dem Verlust hierarchisch gebundener Wissensmonopole geht auch der damit verbundene Steuerungsanspruch ein Stück weit zurück. Auch damit müssen sich Führungskräfte auseinandersetzen, wenn sie in Veränderungsprozessen erfolgreich agieren wollen: Nicht das Wissen, sondern das Nichtwissen; nicht die Eindeutigkeit, sondern die Ambivalenz; nicht die Sicherheit, sondern das Mögliche sind als Prämissen gesetzt für einen Führungsprozess, in dem Aushandlung und Integration (auf der Basis von Befähigung und Motivation) in Zukunft eine wesentlich größere Rolle spielen werden als jemals zuvor. In diesem Kontext Perspektiven zu erkennen, Commitment herzustellen und Komplexität soweit zu reduzieren, dass nicht Blindheit, sondern gemeinsamer Sinn und Handlungsfähigkeit entstehen, ist die große Herausforderung für das Leadership im Change. Change initiieren, aushalten und vermitteln zu können, die neue Form einer (Change-)Resilienz. Manager haben hier schon verloren. Reflektierte und empathische Persönlichkeiten mit Change-Appeal sind gefragt!

Anja Ebert-Steinhübel
0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert